04. Aug

Hamburger Orgelsommer in St. Michaelis: Gerhard Gnann

Sigfrid Karg-Elert: »Herr Jesus Christ, dich zu uns wend«, op.65
Sigfrid Karg-Elert: Symphonischer Choral »Ach bleib mit deiner Gnade«, op. 87 no. 1
Baldassare Galuppi: aus: Sonata in D
Carl Philipp Emanuel Bach: Fantasia con fuga H 103, c-Moll
Robert Schumann: aus: Studien für den Pedalflügel op. 56
Sigismund von Neukomm: Grand Dramatic Fantasia, Konzert am See, unterbrochen von einem Donnerwetter
Louis Vierne: Allegretto op. 1 aus: Symphonie Nr. 6 op. 59

Gerhard Gnann (Foto: privat)

Der Leipziger Spätromantiker Sigfrid Karg-Elert schöpfte aus dem reichhaltigen Schatz des protestantischen Chorals immer wieder erstaunliche Inspiration. In seinem op. 65 bearbeitet er insgesamt 66 Choräle auf einfallsreiche und ganz und gar neuartige Art und Weise. „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend“ ist eine feurig dahinstürmende Toccata, in deren Klangrausch immer wieder die Melodie des Chorals in langen Notenwerten auftaucht.
Wie der Name „Symphonischer Choral“ schon andeutet, wird der Choral „Ach bleib mit deiner Gnade“ im op. 87 deutlich umfangreicher bearbeitet. Karg-Elert führt hier nach dem Vorbild der Reger’schen Choralfantasien den Choral mehrfach durch und deutet den Text der einzelnen Strophen dabei aus.
Der venezianische Komponist Baldassare Galuppi galt als der berühmteste Opernkomponist seiner Zeit. In Zusammenarbeit mit Carlo Goldoni erneuerte er die „Opera buffa“ und beeinflusste so die weitere Entwicklung der Gattung entscheidend mit. Obwohl Galuppi nur in diesem Bereich musikhistorische Bedeutung erlangte, ist auch sein Werk für Tasteninstrumente beachtenswert. Es sind meist eher kleine Stücke, die sich zwischen Scarlatti und Haydn einordnen lassen. Diese durchaus anspruchsvollen Sonaten und Divertimenti zeigen eigenständigen Charakter und vermeiden eine allzu kurzatmige Melodieführung. Er selbst benannte als wichtigste Elemente guter Musik „vaghezza, chiarezza e buona modulazione“ (‚Anmut, Klarheit und schöner Tonfall‘)
Die Fantasie und Fuge c-Moll gehört zweifellos zu den schönsten Werken, die Carl Philipp Emanuel Bach für die Orgel hinterlassen hat. Der heftig-pathetische und düstere Charakter der Fantasie wird durch herausfordernde Septakkorde und kühne Modulationen erreicht. Die Akkorde werden immer wieder unterbrochen von dramatischen, rezitativischen Passagen. Der vierstimmigen Fuge liegt ein schroffes Thema zugrunde, das sich jedem Formalismus verweigert. Ein Werk wie dieses, in dem das überkommene musikalische Erbe mit neuen und frischen Gedanken belebt wird, lässt uns bedauern, dass CPE Bach nur so wenige Werke der Orgel gewidmet hat.
Mitte der 1840er Jahre litt Robert Schumann unter einer Lebens- und Schaffenskrise und war von schweren Depressionen heimgesucht. Studien des „Wohltemperierten Klaviers“ und der „Kunst der Fuge“ seines erklärten Vorbilds Johann Sebastian Bach sind Schumanns „täglich Brod“ und helfen ihm in der schwierigen Phase. Auf dem damals neuartigen „Pedalflügel“ konnte er auch die Orgelwerke Bachs studieren. Die „Studien“ übertitelten Werke op. 56 sind in Wahrheit lyrische Preziosen, die zwar für den Pedalflügel konzipiert wurden, aber auch auf der Orgel wundervoll klingen.
Sigismund Ritter von Neukomm war Komponist, Pianist, Diplomat und wurde auch der Spionage verdächtigt. Er war ein Schüler Michael Haydns, später ein enger Mitarbeiter Joseph Haydns und ein großer Verehrer Mozarts. In vielen Ländern der Welt tätig, war er zum Beispiel von 1804 bis 1808 Kapellmeister in Sankt Petersburg und von 1816 bis 1821 in Rio de Janeiro. Die meiste Zeit lebte er jedoch in Paris.
Sein großes Vorbild Mozart lernte er nie kennen, war aber Klavierlehrer von dessen Sohn Carl Thomas Mozart.
Die Grand Dramatic Fantasia ist ein zauberhaftes Werk, das einen unbeschwerten Tag in der freien Natur, unterbrochen von einem schweren Gewittersturm, musikalisch beschreibt, eine Naturschilderung, wie sie zu seiner Zeit ausgesprochen beliebt war (man denke nur an Beethovens 6. Symphonie mit dem Titel „Pastorale“). Hinreißend die Modernität, mit der er das einsetzende Gewitter in Klang umsetzt.
Zuletzt noch zwei Werke des Organisten der Pariser Kathedrale „Notre-Dame“, Louis Vierne. Der fast blinde Komponist zählt neben Charles-Marie Widor zu den herausragendsten Vertretern der französischen Orgelsymphonik. Es ist reizvoll, sein erstes und letztes veröffentlichtes Orgelwerk nebeneinanderzustellen: das liebliche Allegretto op. 1 und das furiose Final seiner letzten Sinfonie. In diesem Satz herrscht pure Ausgelassenheit. So tänzerisch, so rhythmisch kraftvoll hört man Vierne in seiner Musik sonst selten. Besonders wirkungsvoll ist der Schluss: außerordentlich schwierig zu spielende schnelle Tonleitern im Pedal führen zu einer virtuos mitreißenden Schluss-Apotheose des gewaltigen Werks.

Jörg Endebrock


Gerhard Gnann wurde 1962 in Bad Buchau geboren und studierte Orgel, Cembalo und Kirchenmusik in Freiburg, Amsterdam und Basel. Zu seinen Lehrern zählten Ludwig Doerr, Ton Koopman, Ewald Kooiman und Guy Bovet. Er war mehrfach Preisträger bei internationalen Wettbewerben, u. a. 1988 in Brügge, 1992 beim Schweizer Orgelwettbewerb und gewann 1993 den Großen Preis „Dom zu Speyer“.
Von 1994–1997 war er Bezirkskantor der Erzdiözese in Freiburg mit Dienstsitz in Münstertal. In dieser Eigenschaft begründete er die Reihe „Konzerte in St. Trudpert“. 1997 wurde Gerhard Gnann als Professor für künstlerisches Orgelspiel an die Hochschule für Musik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz berufen. Er ist dort zugleich Leiter der Abteilung Kirchenmusik/Orgel. 2003 wurde er mit dem Preis der Johannes Gutenberg-Universität für exzellente Leistungen in der Lehre ausgezeichnet.
2012–2015 war Gerhard Gnann Domorganist am Freiburger Münster und künstlerischer Leiter der dortigen Orgelkonzerte. Als ausübender Künstler, Juror bei internationalen Wettbewerben sowie als Pädagoge ist er im In- und Ausland gefragt. Als Gastdozent von Meisterkursen ist er regelmäßig in Italien, Polen, Norwegen, Dänemark, Frankreich und der Schweiz zu Gast.
Des Weiteren hat er mit CD-Aufnahmen bei Labels wie audite, hänssler Classic, organum, coviello classic u. a. auf sich aufmerksam gemacht. Gnann wurde mehrfach mit Schallplattenpreisen ausgezeichnet – zuletzt 2013 mit dem „ECHO Klassik“ – sowie 2015 für die CD „arranging bach“ auf den Orgeln des Freiburger Münsters.

Veranstaltungsort
Hauptkirche St. Michaelis
Englische Planke 1
20459 Hamburg
Datum
Mittwoch, 04. August 2021
Uhrzeit
19.00 Uhr
Ticketinfo
Karten: € 10,00 (zzgl. Vorverkaufsgebühr) - Ermäßigungen an der Abendkasse
Zusatzinformationen
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