Die Königin im Knast

Nachdem 1879 der erste Teil der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel (im Volksmund „Santa Fu“) in Betrieb genommen wurde, folgte 1891 eine Anstalt für 350 weibliche Gefangene. Zu diesem Gefängnisbau gehörte selbstverständlich auch eine Kapelle, die damals wie heute der privaten Andacht und regelmäßigen Gottesdiensten dient und zudem als Besuchsraum der heutigen Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg fungiert. Auf der Empore der Kapelle befindet sich eine Orgel aus der Erbauungszeit der Anstalt. Das Instrument wurde 1892/93 von der sächsischen Orgelbaufirma Gebrüder Nagel aus Großenhain erbaut. Gut gesichert vor der Bilderstürmerei der sogenannten Orgelbewegung, brachte es der besondere Aufstellungsort glücklicherweise mit sich, dass es in seiner 125jährigen Geschichte nahezu keine Veränderungen erfuhr. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass die Orgel das einzige nicht veränderte Instrument der Gebrüder Nagel ist. 

Gitterblick JVA Fuhlsbüttel. Quelle: Wikipedia

Heute sind 22 Orgeln der zwischen 1824/26 (spätestens 1830) und wohl bis in die 1920er Jahre tätigen Erbauerwerkstatt erhalten. Das Hamburger Instrument ist das jüngste unter ihnen. Es ist sehr solide gebaut und entspricht dem „Typus der sächsisch-hochromantischen Orgel der Dresdner Schule“ (Jiri Kocourek).

Im Jahr 1978 wurde das Instrument teilweise ausgebaut, um es zu überholen, dann das Vorhaben jedoch vorerst gestoppt. Im Rahmen der 1994 endlich durchgeführten Restaurierung durch Heinz Hoffmann fand man in der Orgel eine Notiz der Erbauerwerkstatt Gebrüder Nagel mitsamt der Nennung des Baujahres. Bis dahin war davon ausgegangen worden, dass es sich um das einzige erhaltene Instrument des Hamburger Orgelbauers Wolfsteller handelte. 

Orgel in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg. Foto: Orgelstadt Hamburg e.V.

Im Rahmen einer sicherheitsrelevanten Kontrolle der Haftanstalt im Jahr 1999 wurde die Orgel leider sehr unsachgemäß auch im Inneren durchsucht, wobei die Spieltraktur des Pedals erheblich beschädigt wurde. Glücklicherweise sind auch Orgelbauer und Organisten nicht vor einer Ahndung von Straftaten gefeit: Ein orgelkundiger Häftling führte die Reparatur durch. Aus dieser Zeit dürften auch die bizarr anmutenden, massiven Schlossriegel einschließlich Vorhängeschlössern stammen, die ein unbefugtes Öffnen des Gehäuses verhindern sollen.

Das Instrument befindet sich heute jedoch in einem stark überholungsbedürftigen Zustand. Mit einer Generalüberholung wurde die Firma Paschen (Kiel) für das Frühjahr 2019 beauftragt.

Text: Orgelstadt Hamburg e.V.


Headerfoto: Orgelstadt Hamburg e.V. – Fotograf: Alexander Voss

 

Weitere Orgeln in Justizvollzugsanstalten finden Sie hier:
Justizvollzugsanstalt Billwerder und Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel (stillgelegt)