Engel in der Werkstatt

Die Holzbildhauerei gehört zu den ältesten bildenden Künsten der Kulturgeschichte. Das Besondere ist die Dreidimensionalität der Kunstwerke.

Christiane Sandler ist Holzbildhauerin und hat in ihrer Werkstatt in Kissing bei Augsburg schon zahlreiche figurale Arbeiten für den sakralen Bereich ausgeführt. Sie war maßgeblich an der Rekonstruktion der Orgel für St. Katharinen beteiligt, die 2013 abgeschlossen wurde.

Wir haben der Bildhauerin einige Fragen gestellt.

 

Welche Aufgaben hatten Sie bei der Rekonstruktion der Orgel St. Katharinen?

Werkstatt Kissing, rechter Posaunenengel mit Modell. Foto: Harald Sandler

Zuerst musste ein Konzept erarbeitet werden, welche Schnitzereien von der historischen Orgel tatsächlich rekonstruiert werden sollten. Die in der Barockzeit umfangreich erweiterte, ehemalige Renaissanceorgel, hätte zu dem neuen Kirchenraum der Nachkriegszeit nicht mehr gepasst. So haben wir entschieden, nur die Schleierbretter, also die Holzschnitzereien am Prospekt, wiederherzustellen, die für den Orgelklang und somit die Funktion wichtig sind. Zusätzlich sollten alle Friese und die Bekrönungen der Türme mit den Engeln rekonstruiert werden, welche wichtig für das Gesamtbild sind. Vorrangig sollte aber der Renaissanceprospekt von 1605 wieder entstehen.

Meine Aufgabe war es dann, Tonmodelle und Zeichnungen für alle Ornamente anzufertigen. Ornamente, die als Wiederholungen oder Spiegelungen mehrfach vorkamen, habe ich mindestens einmal selber in Holz geschnitzt und sie dann als Vorlage an meine Mitarbeiter weitergegeben.

An welchen Vorlagen haben Sie sich orientiert?

Es gibt Originalfotos von der historischen Orgel. Allerdings ist auf denen nur das Rückpositiv richtig gut zu erkennen. Das Hauptwerk und die Basstürme sind nur teilweise oder schemenhaft zu sehen, die Engel mit starker Untersicht oder sehr weit weg.

Für die Renaissanceornamentik habe ich deshalb antiquarische Bücher mit Kupferstichvorlagen zu Hilfe genommen sowie die etwa zeitgleich von Scherer erbaute Orgel in Tangermünde vor Ort studiert. Für die Engel haben wir, mein Mann und ich, uns an den großen Rokoko-Bildhauern Süddeutschlands orientiert. Das sind vor allem Johann Baptist Straub und Ignaz Günther.

Was gehörte zu den größten Herausforderungen?

Für mich persönlich war die neue Führungsrolle eine große Herausforderung. Bislang war ich freischaffend in meiner eigenen Werkstatt tätig, ohne Angestellte. Ich musste nun ein Mitarbeiterteam finden, in diesem Fall ebenfalls freischaffende Holzbildhauer, mit denen ich das große Projekt in dem vorgegebenen zeitlichen Rahmen schaffen konnte.

Trotzdem sollte man später an der Orgel nicht sehen, dass da viele verschiedene Bildhauer mit beschäftigt waren. Es musste mir gelingen, alle Beteiligten zu einer gemeinsamen Handschrift zusammenzubringen.

Vom bildhauerischen und handwerklichen Aspekt her waren die barocken Engel mit ihrer Dynamik die größte Herausforderung für mich. Die Anatomie musste bewältigt werden, dazu weit abstehende flatternde Gewandtücher und weit ausladende Flügel.

Werkstatt Kissing, linker u. rechter Posaunenengel. Foto: Harald Sandler

Die Posaunen blasenden Engel bekrönen die beiden mächtigen Pedaltürme – wie groß sind sie und wie haben Sie die dort hochbekommen?

Die Engel sind vom Fuß bis zum Scheitel gut 1,80 m hoch.

Hochbekommen habe ich sie ganz einfach: Das haben nämlich die Orgelbauer von Flentrop aus Zaandam erledigt.

Worin besteht die besondere Kunst beim Ornamentschnitzen?

Die Ornamente der Renaissance und des Barock orientieren sich an der Antike, sie bestehen überwiegend aus abstrahierten Blattformen, insbesondere dem Akanthusblatt.

Alle Formen sind organisch und im Wachstum begriffen. Sie folgen einer bestimmten Logik, die man verstehen muss. In der damaligen Zeit schnitzte ein Bildhauer sein Leben lang Ornamente gleichen Stils. Wenn ich solche Originale betrachte, dann begeistert mich die Freiheit und Lockerheit, mit der da gearbeitet wurde. Und gleichzeitig erkenne ich darin das sichere Gefühl für die Gesetzmäßigkeit, die befolgt wurde. Das ist die große Kunst: so etwas zu verstehen und damit zu spielen.

Das Interview führte Nina Sauer.


Headerfoto: Harald Sandler