Hamburger Orgelsommer in St. Michaelis: Mona Rozdestvenskyte
Wolfgang Amadeus Mozart: Fantasie f-Moll KV 608
Jan Pieterszoon Sweelinck: Fantasia Chromatica SwWV 258
Johann Sebastian Bach: Fantasie c-Moll BWV 562
Josef Gabriel Rheinberger: Sonate Nr. 12 Des-Dur op. 154
Camille Saint-Saëns: Danse macabre (Transkription: E. H. Lemare)
Max Reger: Fantasie über den Namen B-A-C-H op. 46
Dieses Konzert wird freundlicherweise gefördert von der Internationalen Josef Gabriel Rheinberger-Gesellschaft.
Eine Wiener Attraktion gegen Ende des 18. Jahrhunderts war das von Joseph Graf Deym eingerichtete Kuriositätenkabinett, in dem Plastiken und Wachsfiguren zu sehen waren, während zugleich Spieluhren und -automaten für musikalische Untermalung sorgten. Im Winter 1790/91 beauftragte Graf Deym Wolfgang Amadeus Mozart, mehrere Stücke für diese Flötenuhren zu schreiben. Mozarts f-Moll-Fantasie diente als Trauermusik für Feldmarschall Laudon, Maria Theresias erfolgreichsten General, dessen Wachsfigur stündlich mit der Musik Mozarts geehrt wurde, die dessen stürmisches Leben eindrucksvoll illustriert.
Jan Pieterszoon Sweelinck war der berühmteste Organist seiner Zeit. In der Oude Kerk in Amsterdam spielte er täglich für die wohlhabenden Bürger der Stadt kleine Konzerte, vermutlich die ersten öffentlichen Orgelkonzerte überhaupt. Hier improvisierte er über bekannte und beliebte Melodien oder spielte Kompositionen wie die ausdrucksstarke „Fantasia chromatica“.
Johann Sebastian Bach gilt als größter Meister der klassischen Fuge, einer der strengsten und komplexesten Formen der Musik. Die große Anzahl seiner Fantasien zeigt aber, dass er genauso den freien, expressiven Ausdruck liebte.
Die c-Moll Fantasie ist ein sehr konzentriertes und etwas in sich gekehrtes Werk. Es sind die ausdrucksstarke Dichte des Satzes, die zunehmende innere Spannung, vor allem aber die schmerzlich-lyrische Harmonik, die den Reiz der Komposition ausmachen.
Josef Rheinberger darf wohl neben Mendelssohn als einer der wichtigsten Komponisten der Gattung „Orgelsonate“ im 19. Jahrhundert gelten. Nicht weniger als 20 Sonaten schuf er ab 1875. Rheinberger konzipierte sie eher für den Konzertsaal als für die Kirche, denn im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden immer mehr Orgeln in Konzertsäle eingebaut und man bedurfte adäquater nichtkirchlicher Werke für diesen Rahmen. Die einzelnen Sätze der Sonaten sind meist inspiriert von barocken formalen Vorbildern und tragen wie auch im Falle der 12. Sonate barocke Titel. Rheinberger füllt diese barocken „Gefäße“ jedoch mit seiner sanft-lyrischen, mitunter leicht süßlichen, aber immer meisterhaften hochromantischen Tonsprache.
Der englische Orgelvirtuose Edwin Lemare galt als der virtuoseste Konzertorganist seiner Zeit. Ende des 19. Jahrhunderts verbrachte er die meiste Zeit auf Reisen und machte sich durch seine Arrangements bekannter Orchesterwerke in einer Zeit vor Erfindung der Schallplatte und des Radios enorm verdient um die Verbreitung der damals modernen und fortschrittlichen Musik. Hochvirtuos und gekonnt ist denn auch sein Arrangement der 1875 entstandenen Tondichtung „Danse macabre“ (Totentanz) von Camille Saint-Saëns.
Bei der Uraufführung 1875 in Paris traf das Werk auf wenig Enthusiasmus, wurde später gar ausgepfiffen, möglicherweise, weil das Publikum das Spiel der „diabolischen“ Sologeige mit ihrer auf Es umgestimmten E-Saite als unsauber missverstand. Innerhalb von zehn Jahren jedoch erlangte das Werk so große Bekanntheit, dass Saint-Saëns sich in seinem „Karneval der Tiere“ ironisch selbst daraus zitierte.
„Seb. Bach ist für mich Anfang und Ende aller Musik, auf ihm ruht und fußt jeder wahre Fortschritt!“ Mit diesen programmatischen Worten beginnt Max Reger seine Antwort auf die 1905 von einer Zeitschriftenredaktion gestellte Rundfrage „Was ist mir Johann Sebastian Bach und was bedeutet er für unsere Zeit?“. Eindrucksvolles Zeugnis dieser Bach-Verehrung legte er bereits mit der im Jahr 1900 komponierten und veröffentlichten grandiosen Bach-Hommage ab, seinem wohl bekanntesten Orgelwerk: Fantasie und Fuge über B-A-C-H (im heutigen Konzert erklingt nur die Fantasie). Was bei anderen seiner Kompositionen irritieren mag, die komplexe Harmonik, die Weitschweifigkeit, das scheinbare Umherirren von einem wie zufällig erhaschten Ruhepunkt zum nächsten, das ist hier durch das omnipräsente B-A-C-H-Motiv verklammert und verhilft dem Werk zu einer bemerkenswerten Geschlossenheit.
Reger widmete die Komposition Josef Rheinberger, der sich angesichts der hochexpressiven Modernität aber vorsichtig-kritisch zur Fantasie geäußert haben soll.
Jörg Endebrock
Mona Rozdestvenskyte wurde 1994 in Moskau geboren. 2012 begann sie mit dem Studium der Kirchenmusik an der Hochschule für Musik Detmold, an der sie 2018 ihren Master und 2020 den Master Solist Orgel bei Prof. Martin Sander absolviert hat. Seit Oktober 2020 studiert sie in der Meisterklasse von Prof. Martin Schmeding an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig.
Weitere künstlerische Impulse erhielt sie bei Meisterkursen mit Olivier Latry, Wolfgang Zerer, Arvid Gast, Michael Radulescu, Hans-Ola Ericsson, Ben van Oosten, Guy Bovet, Jaroslav Tuma und Bine Bryndorf.
Mona Rozdestvenskyte war Preisträgerin bei zahlreichen nationalen und internationalen Wettbewerben: u. a. erhielt sie 1. Preise beim VII. internationalen M. K. Ciurlionis-Orgelwettbewerb in Vilnius, bei der Northern Ireland International Organ Competition, beim internationalen Orgelwettbewerb Fugato in Bad Homburg, 3. Preis beim Orgelwettbewerb in Saint-Maurice (Schweiz, 2018), beim Orgelwettbewerb in Korschenbroich und den Preis der Rheinberger-Gesellschaft beim Rheinberger-Orgelwettbewerb in Vaduz.
Sie konzertierte unter anderem in der Dresdner Frauenkirche, in der Lorenzkirche in Nürnberg, im Dom zu Paderborn, im Mozarteum Salzburg, im ORF-Sendehaus in Wien, in Westminster Abbey, in der St. Thomas Church 5th Avenue in New York City, im Rigaer Dom sowie an weiteren Orten in Deutschland, der Schweiz, Polen, den baltischen Staaten, Spanien und England.
Von 2017 bis 2021 war Mona Rozdestvenskyte als Kirchenmusikerin im Pastoralverbund Bad Driburg tätig. Seit Februar 2021 arbeitet sie als Regionalkantorin an der Propsteikirche St. Johann in Bremen.