Die Orgel vom Kiez

Wenn Orgeln erzählen könnten, kämen dabei vermutlich interessante, aber auch ziemlich gleichförmige Geschichten heraus. Geschichten von kirchlichen Festen wie Taufen, Trauungen und Weihnachtsfeiern – und natürlich von sehr vielen Konzerten. Wesentlich abwechslungsreichere Anekdoten könnte allein die Orgel der katholischen Kirche St. Bonifatius zum besten geben. Die Tatsache, dass sie die einzige erhaltene Konzertorgel auf Hamburger Stadtgebiet ist, macht deutlich: Ihr Platz kann nicht immer in dieser Kirche gewesen sein. Und so ist es auch. Im Jahr 1889 war am Anfang der Reeperbahn Ecke Millerntor das „Concerthaus Ludwig“ eröffnet worden. 

 

Blick in den großen Saal mit der Orgel an der Stirnseite. Foto: Bildarchiv Hamburg 1860-1955

Der kuriose Musentempel im Stil der Gründerzeit beeindruckte unter anderem durch einen Wintergarten mit Kuppel, der wie eine Grotte aussah. Außerdem plätscherte ein Wasserfall über drei Etagen durch das kolossale Gebäude. Fixpunkt des Hauses war ein großer Saal mit fast 2.000 Plätzen und einem Orchesterpodium, das Platz für 720 Musiker bot. Und dort, an der Stirnseite des Saals, war auch die spektakuläre Orgel mit 2.322 Pfeifen eingebaut – eine Arbeit der Gebrüder Rohlfing aus Osnabrück. Das Haus galt von Anfang an als schwer bespielbar, offenbar hatte man eine Spur zu großzügig geplant. Immer wieder wechselten die Besitzer, bis dann im Jahr 1910 ein radikaler Umbau anstand. 

Die Orgel wurde zunächst eingelagert und dann später von der Kirchengemeinde St. Bonifatius in Eimsbüttel gekauft, deren Kirchenneubau gerade in den Himmel wuchs.

Als das Instrument im Juni 1910 nach einem Jahr Bauzeit eingeweiht wurde, staunten die Besucher nicht schlecht, dass die Gemeinde die Orgel aus dem Concerthaus gekauft hatte, das 1910 als „Deutsches Operetten-Theater“ neu eröffnet wurde. Der Umbau war von dem bekannten Hamburger Orgelbauer Paul Rother vorgenommen worden – erfolgreich, wie man sehen und hören konnte. Die Orgel hatte Glück: 1943 wurde ihr alter Standort, mittlerweile Hamburgs „Volksoper“, durch Fliegerbomben total zerstört. Sie wäre mit Sicherheit mit untergegangen. Doch so blieb das Instrument erhalten. Allerdings gab es in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Umbauten, die nicht immer zu seinem Vorteil ausfielen. 

Schließlich folgte im Jahr 2000 wegen der mangelhaften Elektrik die Stilllegung. Zwar wird die Orgel aktuell wieder bespielt und lässt ihre originale Klangpracht erahnen. Die Windversorgung ist aber nach wie vor mangelhaft und eine fachgerechte Stimmung deshalb nur eingeschränkt möglich. Und die konstruktive wie räumliche Situation im Innern ist im gleichen Zustand wie zur Zeit der Stilllegung.

Eine Sanierung des Instruments ist also aus vielerlei Gründen wünschenswert. Schließlich gilt es als eines der letzten Beispiele für den Typ einer symphonischen Konzertorgel deutscher Prägung des 19. Jahrhunderts. 

Text: Matthias Schmoock,
Norbert Hoppermann